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Kurz Vorgestellt


Quelle: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Lynn Cullen: „Die Formel der Hoffnung

Die Autorin spricht mit dem biographischen Roman „Die Formel der Hoffnung“ eine Hommage an Dr. Dorothy Horstmann aus, die ihr Leben der Polio-Forschung gewidmet hat. Polio war für alle Eltern Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre ein Albtraum, denn das Virus breitete sich in den Sommermonaten epidemieartig in den USA aus und kostet vielen Kindern das Leben oder machte sie zu behinderten Menschen. Darum war es für Dr. Horstmann eine Herzensangelegenheit, einen Impfstoff gegen Polio zu erforschen. 
Das war für eine Wissenschaftlerin der Medizin in den 50er Jahren kein einfaches Unterfangen, denn männlichen Kollegen nahmen ihre Kolleginnen häufig nicht ernst. Der Roman zeigt die Schwierigkeiten auf, mit denen Dr. Horstmann fertig werden musste, zeigt den unermüdlichen Kampf, bis sie nachweisen und ihre Kollegen überzeugen konnte, dass sich das Poliovirus über den Blutkreislauf ausbreitet. Es hat sie viele Jahre gekostet, bis sie von ihren männlichen Kollegen vollständig anerkannt wurde. Durch ihre Beharrlichkeit hat sie die Forschung nach einem Impfstoff gegen Polio vorangetrieben, die Polio-Schluckimpfung entwickelt und mit der Impfung Kinder vor dieser zerstörenden Krankheit geschützt.

Bernhard Schlink „Das späte Leben“

Martin Brehm, ehemaliger Professor für Rechtsgeschichte ist sechsundsiebzig. Er wird von einer ärztlichen Diagnose geschockt, die da lautet: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ihm bleiben nur noch wenige Wochen Lebenszeit und er hofft auf eine annähernd erträgliche, restliche Lebensdauer. Er lässt sein Leben Revue passieren und stellt sich die Frage, was er mit der verbleibenden Zeit anfangen kann. Natürlich gehen seine Gedanken zuerst zu seiner 30 Jahre jüngeren Frau Ulla, einer erfolgreichen Künstlerin und ihrem gemeinsamen Sohn David, der noch in den Kindergarten geht. Was kann, was muss er für sie tun? Reicht es, seinem Sohn Briefe zu hinterlassen, die ihm dem Weg ins Leben ebnen und Hilfestellung leisten sollen? Er behandelt Fragen der Religion, der Gerechtigkeit, der Liebe und kommt zu der Erkenntnis, dass Liebe nicht gerecht, Gerechtigkeit schwierig ist. Eine zusätzliche Herausforderung kommt auf ihn zu, als er erfährt, dass seine Frau eine Affäre hat. Martin versteht, dass er im Angesicht seines Todes sein bisheriges Leben gewissenhaft reflektieren muss und erkennt, dass es ein Leben ohne Probleme und anzugehende Erledigungen nicht gibt, dass er sich dem stellen muss. Letztlich schließt Martin seinen Frieden mit der Situation. 

Haruki Murakami: „Honigkuchen"

In „Honigkuchen" schildert Haruki Murakami vor dem Hintergrund des Erdbebens in Kobe eine ungewöhnliche Dreieckskonstellation, eine heimliche Liebe und ein Lob der Freundschaft.
Die drei Freunde Takatsuki, Sayoko und  Junpei lernen sich zu Beginn des Literaturstudiums kennen. Zwei unterschiedliche Männer, die sich in dieselbe Frau verlieben. Bevor Junpei Sayoko seine Liebe gestehen kann, schnappt Takatsuki sie ihm vor der Nase weg. Takatsuki und Sayoko heiraten und bekommen eine gemeinsame Tochter – Sara. 
Über das Studium und die Hochzeit hinaus bleiben die drei miteinander verbunden. Takatsukis Wunsch, Journalist zu werden, hat sich erfüllt und Junpei verarbeitet seine Enttäuschung als junger Autor in Kurzgeschichten, die von der unerwiderten Liebe junger Leute handelten.
Junpei ist oft zu Gast bei der jungen Familie. Seit dem großen Beben in Kobe träumt Sara von dem Erdbebenmann, der sie in eine Kiste sperren will. Durch sein Talent, Geschichten zu erzählen, kann Junpei die kleine Sara nachts trösten. In einer Geschichte geht es um den Bären Masakichi, der ein besonderes Talent hat und mit einem anderen Bären eine ungewöhnliche Freundschaft eingeht. 
Im Laufe der Ehejahre hat sich Takatsuki zu einem viel gefragten Journalisten entwickelt. Er geht entschlossen vor und nimmt sich, was ihm gerade gefällt. Die Trennung der Eheleute ist nicht mehr zu verhindern. Trotz dieses Geschehens pflegt Junpei den innigen Kontakt zu Sayoko und Sara  weiter und findet endlich den Mut, Sayoko seine Liebe zu gestehen. 
Haruki Murakamis Geschichte ist zeitlos und so präsent. Es ist eine ruhige Geschichte mit einem positiven Ende! 

Tove Ditlevsen: „Kindheit“

Tove Ditlevsen ist eine bekannte dänische Autorin. Die „Kopenhagen-Trilogie“ mit den drei Bänden „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“ ist ihr zentrales Werk. In ihrem ersten Band „Kindheit“ beschreibt sie kritisch ihre Lebensphase vom 5. bis zum 14. Lebensjahr, dem Ende der Schulzeit. Diese Kindheitserinnerungen sind sowohl schonungslos und bedrückend, aber auch poetisch. Tove will der Enge ihres Milieus entkommen. Ihre Kindheit erlebt sie als "schmal wie einen Sarg, aus dem man sich nicht allein befreien kann". Sie will Dichterin werden, träumt vom „Zimmer für sich allein", schreibt Gedichte in ein Poesiealbum, bemüht sich um eine zivilisierte Sprache. Das Schreiben bedeutet für sie gewissermaßen Schutz gegen eine ihr Unbehagen bereitende Umwelt. Weder von der Mutter noch von ihrem Vater wird sie unterstützt, sie muss ihren Weg alleine gehen. Sie möchte, auch wenn es in den Zwischenkriegsjahren noch nicht zum allgemein Üblichen gehörte, ein selbstbestimmtes Leben führen.
Natürlich hat sie auch eine Freundin, die wilde, rothaarige Ruth. Mit ihr zusammen entdeckt Tove die Stadt. Durch die Stadt zu streifen macht Spaß, aber eigentlich interessiert sich Tove nur für die Welt der Bücher, und ihr brennender Wunsch, Schriftstellerin zu werden, begleitet sie in allen Lebenslagen.                                                                                                                                 
Mit intensiver Sprache schafft sie ein sehr realistisches Bild ihrer damaligen Situation und lässt Leserinnen und Leser in diese Welt eintauchen.

Elke Heidenreich: „Frau Dr. Moormann & ich“

Im neuen Buch von Elke Heidenreich „Frau Dr. Moormann & ich“ erzählt die Autorin, wie sie selbst, ein eigenwilliger Mops und eine Botanikerin Freundschaft schließen. Das Cover ist wie eine kleine Einführung in das Geschehen, das den Leser erwartet. Es zeigt die Autorin vor ihrem Eigenheim im Garten, auf der anderen Seite des Zaunes sehen wir Frau Dr. Moormann, die einiges an dem ungepflegten Grundstück von Frau Heidenreich auszusetzen hat. Die beiden leben lange Haus an Haus und da sie so verschieden sind, gibt es immer wieder Reibereien z.B. wegen des Schneeräumens oder des Laubfegens. Aber Frau Dr. Moormann nervt auch, weil sie alles besser weiß.
Erstaunlicher Weise findet der kleine Mops Gustav, der sich in dem Haushalt der Erzählerin einfindet, Zugang zur Nachbarin, obwohl er sie häufig anbellt. Sie scheint ihn zu mögen und er bringt eine Seite von Frau Dr. Moormann zum Vorschein, mit der nicht zu rechnen war.
So nähern sich die beiden Frauen langsam an und es entsteht so etwas wie eine nachbarliche Beziehung, ja fast Freundschaft. Elke Heidenreich glänzt mit sprühendem Witz und klugen Beobachtungen, sie schreibt frech und tiefgründig.  Die hübschen gemalten Bilder von Michael Sowa geben dem Buch zusätzlich Heiterkeit und Vergnügen.

Annie Ernaux: „Die Scham“

In ihrem Roman "Die Scham" hinterfragt Annie Ernaux den Grund ihrer persönlichen Scham.
Ein Erlebnis in ihrer Kindheit führte dazu, dass das Gefühl der Scham sie ihr Leben lang begleitete. 
Annie ist 12 Jahre alt, als eines Sonntagnachmittags etwas Entsetzliches geschieht. Ihr Vater versucht, die Mutter mit einem Beil zu erschlagen, dann aber, weil sich seine Wut gelegt hat, von ihr ablässt. Später wird in der Familie nie mehr ein Wort über den Vorfall verloren. Annie versucht, den Eklat zu vergessen, doch er ist tief in ihrem Gedächtnis eingebrannt und bildete den Urgrund ihrer Scham, teilt die Kindheit der Autorin in ein unbefangenes Davor und einschamhaftes Danach.
Annie besucht eine katholische Privatschule, deren strenge Regeln sie ohne zu hinterfragen annimmt, sie fühlt sich zugehörig und ist anerkannt.  
Nach dem prägenden Erlebnis zu Hause fühlt sie sich in dem sozial gehobenen Milieu der Schule als eine Art Betrügerin, die ihren Platz dort nicht verdient und ist stark  verunsichert.
Nach dem entsetzlichen Ereignis war für Annie Ernaux das alltägliche Leben mit den sprachlosen Eltern zutiefst schambesetzt. Die Scham für ihre Herkunft, die Eltern, die zwanghafte Frömmigkeit, die unüberwindbar scheinende Grenze zwischen "bei uns" und "da draußen" ist zu ihrer Seinsweise“ geworden, sagt Annie Ernaux. 
Die Autorin präsentiert ein sehr ehrliches, offenes Buch, die Sprache ist einfach, deutlich, sprachgewaltig.

Sabrina Janesch - Sibir

Sabrina Janesch erzählt in ihrem Roman „Sibir“ eine Familiengeschichte, die auf zwei Zeitebenen angesiedelt ist. Da ist der zehnjährige Josef Ambacher, der mit seiner Familie am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Kasachstan verschleppt wird. Dort müssen sie sich auf ganz ungewohnte, schwierige Lebenssituationen einrichten. Josef findet einen kasachischen Freund, was ihm hilft, nicht nur den Verlust der Mutter - sie ist bei einem Schneesturm ums Leben gekommen - sondern auch die neue Lebenssituation zu ertragen. Erst nach mehr als zehn Jahren darf die Familie in die Bundesrepublik ausreisen.
Die zweite Zeitebene beginnt, als nach der Wende neue Aussiedler aus Russland in das kleine Heidedorf, in dem Josef mit seiner Familie lebt ankommen. Viele Erinnerungen werden geweckt. Josef war ein großer Geschichtenerzähler, der leider auf Grund seiner Demenz nahezu verstummt ist. So wächst in seiner Tochter Leila der Wunsch, die Kindheit ihres Vaters durch Aufschreiben zu bewahren. 
Sehr einfühlsam und spannend hat Sabrina Janesch in ihrem Roman die Auswirkungen von Krieg und Vertreibung beschrieben und festgehalten, dass auch die nachfolgende Generation von dem schwierigen Lebensweg der Eltern geprägt wird.

Michael Köhlmeier - Frankie

Mit seinem neuen Roman „Frankie“  legt Michael Köhlmeier seinen Lesern eine ungewöhnliche Geschichte über das Böse vor. 
Frank ist vierzehn. Er lebt mit seiner Mutter in Wien. Sie sind ein eingespieltes Team, das meistens sehr gut funktioniert. Nach achtzehn Jahren Gefängnis taucht Franks Großvater auf und bringt Unruhe in das Leben des Jungen, die gewohnte Ordnung gerät durcheinander. Franks Mutter fürchtet sich vor ihrem Vater, Frank fühlt sich einerseits abgestoßen, andererseits ist er fasziniert von dem gewalttätigen Verhalten des Alten. Er spürt die Anziehung, die von dem einschüchternden, bedrohlichen Auftreten des Großvaters ausgeht, der beginnt, Frank zu manipulieren. Nach anfänglicher Zurückhaltung ist Frank schließlich so beeinflusst von seinem Großvater, dass er sich auf eine Reise und Handlungen einlässt, die sein gesamtes Leben verändern.

Bettina Flitner - Meine Schwester

Bei einem Treffen mit zwei engen Freundinnen erfährt die Autorin Bettina Flitner vom Suizid ihrer Schwester. Sie ist verzweifelt und wie gelähmt, nichts ist mehr wie zuvor. Nach einigen Jahren, zu Beginn der Pandemie, gelingt es ihr, sich ihren Schmerz von der Seele zu schreiben. „Ich klappte meinen Laptop auf, öffnete eine neue Schreibdatei und begann mit dem ersten Satz dieser Aufzeichnungen. Es war einfach der richtige Moment." 
Sie erzählt von den Erinnerungen an das gemeinsame Leben mit der geliebten Schwester, den Eltern und Großeltern. Eine Geschichte einer innigen Geschwisterbeziehung, sehr unkonventionellen Eltern, die nicht in der Lage waren, ihren Kindern Geborgenheit und Zuverlässigkeit zu geben. Mit Humor und Leichtigkeit erzählt Bettina Flitner von ihrer gemeinsamen Zeit auf der Waldorfschule, einem sechsmonatigen Aufenthalt in New York mit der Familie, ihre Zeit als Teenager, die Depression der Mutter. Als auch die Schwester in eine Depression fällt, wird es für die Autorin immer schwerer, die enge Nähe zur Schwester aufrecht zu erhalten. Der Schock über ihren Suizid sitzt tief, und immer wieder fragt sie sich, was hätte ich merken oder wissen müssen? War ich ihr noch wirklich nah? 
Bettina Flitner  hat mit ihrem Buch „Meine Schwester“ den Lesern ein bewegendes Familienportät aufgezeichnet, das für sie zur Befreiung wurde. 

Laetitia Colombani - Das Mädchen mit dem Drachen

Léna ist Lehrerin, sie lebt in Frankreich. Nach einem schweren Schicksalsschlag fällt sie  in eine tiefe Depression, aus der sie nicht herauskommt. Ihre letzte Hoffnung ist Indien, wo sie glaubt, Ruhe für ihre Seele finden zu können. Als sie beim morgendlichen Schwimmen im Indischen Ozean fast ertrinkt, retten das kleine Mädchen Lalita  und eine Gruppe junger Frauen ihr das Leben.
Durch Lalita und Preeti, Anführerin der Selbstverteidigungsgruppe, lernt Léna die ihr ganz unbekannte Welt der armen Menschen in Indien kennen. Mädchen und Frauen der untersten Kaste haben keine Möglichkeit der Schulbildung, sie müssen zum Lebensunterhalt der Familien  beitragen, werden ausgenützt, sind häufig körperlicher Gewalt ausgesetzt und werden noch als Kinder verheiratet. Léna beschließt, eine Schule für diese Kinder zu gründen und muss viele Widerstände und Hindernisse bei den Eltern und den Behörden überwinden. Doch alle Rückschläge schrecken sie nicht ab, sie ist mutig und gibt so schnell nicht auf. 
Ein beeindruckender feministischer Roman.

Marietta Slomka - Nachts im Kanzleramt

Die bekannte Fernseh – Moderatorin Marietta Slomka hat ein hochinteressantes Sachbuch geschrieben: „Nachts im Kanzleramt“. Darin erklärt sie vieles, was man schon immer über Politik wissen wollte. Klimawandel, Corona – Krise, Ukraine – Krieg: Politik ist überall. M. Slomka zeigt, wie Politik gemacht wird, und was man wissen muss, um sie zu verstehen. Sie zeigt, was Politiker tun, wie politische  Institutionen arbeiten und verbindet alles mit spannenden Einblicken in den politischen Alltag. Das Buch ist klar und verständlich geschrieben, es kann uns schnell zu bestimmten Fragestellungen Antworten liefern. Ergänzt wird der Text durch witzige Kartoons von Mario Lars. Für alle Zeitungsleser, Nachrichtenhörer und Fernsehzuschauer eine wertvolle Verstehenshilfe!       

Bonnie Garmus - Eine Frage der Chemie

„Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus ist klug und witzig geschrieben. Die Hauptfigur, Elizabeth Zott, ist alles andere als Durchschnitt. Sie studiert Chemie, ist begabt und zielstrebig, legt Wert auf ihre Selbständigkeit. Aber wir befinden uns in den 1960er Jahren  in den USA, da sind Frauen  noch nicht erwünscht in höheren Gremien der Wissenschaft. Selbstbewusst und kompromisslos erkämpft sie sich Anerkennung und Gleichberechtigung im Hastings Forschungsinstitut. Nach harten Schicksalsschlägen findet Elizabeth sich als alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter wieder und wird nun zum Star von Amerikas beliebtester  Kochshow „Essen um sechs“. Sie zeigt dem Publikum, welche chemischen Prozesse zum Kochen gehören, denn: Chemie bedeutet Veränderung der Zustände. Bonnie Garmus hat mit Elizabeth Zott eine eindrucksvolle literarische Heldin geschaffen, die viel bewegt hat.

Stine Pilgaard - Meter pro Sekunde

 „Meter pro Sekunde“ heißt der neue Roman der dänischen Autorin Stine Pilgaard. Eine junge Familie kommt  in die Kleinstadt Velling in Westjütland, nachdem der Vater dort als Lehrer an der Heimvolkshochschule eine Anstellung gefunden hat. Eine große Umstellung für die junge Mutter, die sich nur mühsam an die neue Umwelt gewöhnt. Grüne Weiden, Kühe, hoher Himmel, Windräder, wortkarge Menschen - alles anders als bisher. Das Baby fordert sie immerzu. Aus kleinen Szenen und Momentaufnahmen wird ein großes Panorama des ganz alltäglichen Lebens in der Provinz. Als sie Kummerkasten – Redakteurin bei der lokalen Zeitung wird, ändert sich ihr Blickwinkel nachhaltig. Es sind die Ängstlichen, Verzagten, Nachdenklichen und Sorgenvollen, die in den Anfragen ihr Herz öffnen. Die Redakteurin aber lebt auf, erforscht sich selbst intensiv und versteht es meisterhaft, einfühlsam und oft humorvoll zu antworten. So wächst sie allmählich hinein in die Gemeinschaft der kleinen Stadt Velling, wieviele Meter sind es pro Sekunde? Alles hat seinen Ort und seine Zeit.

Barbara Pym - Vortreffliche Frauen

Von den Romanen, die die englische Autorin Barbara Pym veröffentlicht hat, ist ihr Roman Vortreffliche Frauen, 1952 erschien, der bekannteste. 
Nach dem Zweiten Weltkrieg, noch in den vierziger Jahren, gilt eine unverheiratete Frau über dreißig als alte Jungfer. Mildred Lathbury erfüllt diesbezüglich alle Vorstellungen. Sie ist in einem Pfarrhaus aufgewachsen, arbeitet in einer sozialen Einrichtung, ist in ihrer Kirchengemeinde sehr engagiert und mit dem Pfarrer und seiner Schwester befreundet, aber ohne feste Bindung. Sie ist eine beliebte Anlauf­stelle für Mitmenschen, die für ihre privaten Anliegen Rat und Tat suchen. Mit Würde trägt sie diese Situation. All diese Qualitäten weisen Mildred als „vortreffliche Frau“ in der Gesellschaft aus.

Franziska Gänsler - Ewig Sommer

Mit ihrem Debütroman „Ewig Sommer“ hat Franziska Gänsler einen Roman vorgelegt, wie er aktueller nicht sein kann. Brennende Wälder und Hitzewelle, und das im Oktober. 
Iris, die Besitzerin eines Hotels, hat schon seit langem keine Gäste mehr, denn in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft brennen die Wälder und nehmen dem fiktiven Kurort Bad Heim die Luft zum Atmen. Ganz unerwartet steht plötzlich eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter vor dem Hotel und bittet Iris, ihnen Unterkunft zu gewähren. Iris sagt zu und hofft, damit ihren Alltagstrott, der sich eingeschlichen hat zu überwinden. Es beginnt, sich sehr vorsichtig eine Freundschaft zwischen den Frauen zu entwickeln. Sie haben beide eine schwierige Vergangenheit, die sie hinterfragen. 

Mariana Leky - Kummer aller Art

„Kummer aller Art“ von Mariana Leky ist eine Sammlung literarischer Kolumnen, die erstmals in der Zeitschrift Psychologie Heute erschienen ist und von der Autorin zu einem neuen Buch überarbeitet wurde. 
In jeder Erzählung werden Kümmernisse aller Art beleuchtet, die ihre Mitbewohner, Freunde, Verwandte oder die Erzählerin selbst plagen. Mit viel Humor und Heiterkeit berichtet Leky von Flugangst, Schlafstörungen, Liebeskummer, Trennungen und vielen anderen Geschehnissen, die der Leser eventuell schon einmal erfahren hat und die im menschlichen Zusammenleben auftreten können. 
Geschichten des Alltags, in einem Buch, das gute Laune macht, mit einer Sprache und einem Stil, die  den Leser zum Schmunzeln bringen. 

Marta Orriols - Der Moment zwischen den Zeiten

Die katalanische Autorin Marta Orriols wurde für ihr Romandebüt „Der Moment zwischen den Zeiten“ mit dem „Premi Ỏmnium 2018“ als bester Roman des Jahres ausgezeichnet. Paula Cid ist Ärztin auf der Frühgeburtenstation in einem Krankenhaus in Barcelona.  Während eines  gemeinsamen Restaurantbesuchs gesteht ihr ihr langjähriger Lebensgefährte Mauro, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat und eine Trennung von Paula wünscht. Kurze Zeit später ist Mauro tot, er wurde von einem Auto überfahren. 
Der Leser erlebt ein Jahr mit Paula, angefüllt mit Trauer, Wut und Verzweifelung und mit Versuchen, ihr vertrautes Leben wieder aufzunehmen. Die Geschichte wird aus der Sicht von Paula erzählt. Wie trauert man um einen Mann, der einen kurz vor seinem Tod verlassen hat und den man nach wie vor liebt?

Miika Nousiainen - Wurzel alles Guten

Es handelt von zwei Halbbrüdern, die sich auf die Suche nach ihrem Vater und Geschwistern machen. Dabei fliegen sie um die halbe Welt und kommen dabei ihrem Vater immer mehr auf die Spur. Themen wie Rassismus, Völkerrecht, Frauen und mehr kommen vor, überlasten jedoch nicht. Sie lernen sich selbst dabei kennen und ihre Schwestern in Schweden, Thailand und Australien.
Es ist in einer leichten Sprache geschrieben und liest sich gut und entspannt. Man staunt über tiefersinnige Sprüche und schmunzelt bei finnischen Humor.

Anne Tyler - Eine gemeinsame Sache

Anne Tyler erhielt für ihr Lebenswerk sowohl den Pulitzerpreis als auch den Sunday Times Award. In ihrem Roman„Eine gemeinsame Sache" begleiten die Leser die Familie Garrett aus Baltimore und nehmen an allen Widrigkeiten und positiven Geschehnissen des Lebens in der Familie über drei Generationen teil. In den einzelnen Kapiteln lernen wir nach und nach alle Familienmitglieder kennen und können mit ihnen sympathisieren oder sie mehr oder weniger skeptisch beobachten. Und oft ist deren Entwicklung für eine Überraschung gut. 
Ohne große Aufregungen erleben wir diese Familie, die uns Anne Tyler mit feinem Humor und Einfühlungsvermögen in ihrem Roman vorgestellt hat.

Jan Weiler - Der Markisenmann

Mit „Der Markisenmann“ ist der siebente Roman des Autors Jan Weiler erschienen.  
Die 15jährige Kim kennt ihren Vater nicht, weil ihre Mutter ihn verließ als Kim 2 Jahre alt war. Dies wird sich jedoch ändern, denn Kim muss in den Sommerferien zu ihrem Vater nach Duisburg, während ihre Familie die Ferien in Florida verbringt. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen beschreibt der Autor die Entwicklung der  Fünfzehnjährigen, die die ihr gesetzten Grenzen in der Familie und der Schule überschritten hat. Ihr Vater lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen. Er ist ein zurückhaltender, liebenswürdiger Zeitgenosse,  doch als Markisenvertreter ungeschickt und erfolglos. Langsam baut sich in den Ferienwochen eine Beziehung zwischen Kim und ihrem Vater auf. Sie erfährt alles Wichtige aus dem früheren Leben des Vaters und lernt, die augenblickliche Situation in ihrem eigenen Leben und die der Familie zu verstehen. Sie wächst an den Herausforderungen, die sie erfährt.
Nicht nur die Entwicklungsgeschichte der Protagonistin Kim ist einfühlsam dargestellt, sondern das Leben des Vaters führt den Leser in eine spannende und gleichsam erschütternde deutsch-deutsche Vergangenheit.                                  

Monika Helfer

Löwenherz

Der Roman „Löwenherz“ über ihren eigenwilligen jüngsten Bruder, der nur 30 Jahre alt wurde, ist das dritte Buch über Helfers Großfamilie aus dem Vorarlberg. Alle drei Bücher sind bei uns auszuleihen und alle sind ausgesprochen lesenswert.

Helfers klare unprätentiöse Sprache bringt uns die Hauptperson allmählich näher. Dieser widersprüchliche Außenseiter, der ständig Geschichten erfindet, selten klar Stellung bezieht und das Leben auf sich zukommen lässt, steigt z.B. in eine Badewanne, die zufällig am Ufer des Bodensees steht, schiebt sie ins Wasser und träumt davon, bis zum Rheinfall von Schaffhausen zu treiben.

Er wird von der jungen schwangeren Kitti kurz vor dem Ertrinken gerettet. Sie fordert ihn auf, sich zu revanchieren, indem er das kleine Mädchen Putzi für zwei Wochen bei sich behält, während sie ihr 2.Kind zur Welt bringt. Sie stellt das Kind bei ihm ab und Richard übernimmt es, ohne viele Fragen zu stellen und entwickelt sich zu einem ungewöhnlichen und zärtlichen Vater.  Richard, der ihm zugelaufene Hund Schamasch und Putzi bilden ein glückliches Trio.  Dieses liebevolle Zusammensein endet, als Kitti nach Monaten wieder auftaucht.

Ein neues Liebesglück für Richard bahnt sich mit der Wirtschaftsanwältin Tanja an, die sogar mit juristischen Mitteln versucht, Kitti das Sorgerecht für Putzi abzuerkennen.
https://www.bibkat.de/jakobi-buecherei/search/?q=Helfer%2C+Monika%3A++Löwenherz

Kirsten Boie

Heul doch nicht, du lebst ja noch

Hamburg 1945, der Krieg ist gerade beendet worden. Die jugendlichen Hauptfiguren Traute, Hermann und Jakob, alle ca. 14 Jahre alt, haben ihn überlebt. Sie sehnen sich nach der Zukunft und müssen doch Vergangenes, Schuld, Angst und Wut verarbeiten. Ein lesenswertes Buch, auch für Erwachsene.

https://www.bibkat.de/jakobi-buecherei/medium/heul-doch-nicht-du-lebst-ja-noch/?back=/jakobi-buecherei/search/%3Fq%3DHeul%2Bdoch%2Bnicht

Nikola Huppertz

Schön wie die Acht

Dieses Jugendbuch hat den diesjährigen Evangelischen Buchpreis bekommen und ist nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 von der Kritikerjury in der Sparte Kinderbuch.

Es geht um Kinder, die in Patchwork-Familien aufwachsen. Das Buch handelt von dem 12jährigen Malte, der Zahlen liebt und für die Matheolympiade trainiert. Als seine 17jährige Halbschwester bei ihm zu Hause einzieht, gerät seine geordnete Welt durcheinander. Empfohlenes Lesealter: ab 12 Jahren.

https://www.bibkat.de/jakobi-buecherei/medium/schon-wie-die-acht/?q=Huppertz,%20Nikola:%20%20Schön%20wie%20die%20Acht

Abbas Khider

Die Themen des deutsch-irakischen Schriftstellers Abbas Khider sind Erinnerungen an seine Heimat Bagdad, traumatische Erfahrungen der Zeit im Gefängnis und später als Asylsuchender. Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet Khider in Deutschland. Er ist deutscher Staatsbürger. In einem Interview erklärt er, indem er in deutscher Sprache schreibe, vermeide er „Betroffenheitsliteratur“ ; es sei Distanz gewahrt.  Schon in seinem Roman „Der Palast der Miserablen“(bei uns vorhanden) fiel der Gegensatz von lebendiger heiterer Schilderung (z. B. das Leben als Kind in einer Wellblechsiedlung in Bagdad) und tiefer Traurigkeit auf.

Der Erinnerungsfälscher

Der Protagonist Said Al-Wahid hat das Asylverfahren in Deutschland überstanden, lebt hier mit Frau und Kind als junger Schriftsteller auf dem Weg zum Erfolg und hat eigentlich mit seiner Heimat Bagdad abgeschlossen. Als ihn die Nachricht seines Bruders erreicht, seine Mutter liege im Sterben, entschließt er sich noch einmal nach Bagdad zu fliegen. Er hat seinen deutschen Pass immer bei sich und auf dem Weg zum Flughafen erinnert er sich an all die Schwierigkeiten mit deutschen Behörden. Während des langen Wartens auf seine Flüge erinnert Said sich auch an seine 4 Jahre dauernde Flucht über Jordanien, Ägypten, Griechenland. Kleine Geschichten, Erlebnisse werden aneinandergereiht. Besonders beeindruckend beschreibt der Autor dann das Wiedersehen mit der Familie und der alten Heimat, auch das Gefühl der Fremde und Leere, die Angst vor schmerzhaften Erinnerungen.

https://www.bibkat.de/jakobi-buecherei/medium/der-erinnerungsfalscher/?q=Khider,%20Abbas:%20Der%20Erinnerungsfälscher

Matthias Brandt

Blackbird

Matthias Brandt, Sohn von Willy Brandt, ist Schauspieler am Theater und im Fernsehen, sowie Sprecher von Hörbüchern.
Er hat dieses Buch im Kulturzentrum Pavillon in einer musikalischen Lesung vorgestellt, und es ist mehrfach in der HAZ besprochen worden. 

Blackbird ist nicht nur ein Jugendbuch: es kann/muss von auch von Erwachsenen gelesen werden!

Als der 15-jährige Morten Schumacher, genannt Motte, einen Anruf bekommt, ist in seinem Leben nichts mehr, wie es einmal war. Sein bester Freund Bogi ist plötzlich todkrank: Krebs. - Kurz danach nimmt die nächste Erschütterung in Mottes Leben ihren Lauf: Liebe. 
Das Buch ist geschrieben als Drama des Erwachsenwerdens. 
Matthias Brandt zeigt, dass man auf dem Weg zum Erwachsenwerden gleichzeitig von Liebe berauscht und am Boden zerstört sein kann.

Die Sprache ist sehr salopp, so wie sich scheinbar Matthias Brandt die Sprache eines  Jugendlichen vorstellt: jugendlich schnodderig. 
Dadurch kann sich der Leser gut in die Stimmungslage von Motte hineinversetzen. Es zeigt einmal mehr auf: Jugendjahre sind leicht und schwer zugleich. 

Auch als Erwachsener findet sich der Leser wieder. 
„Wie erträgt man das Unerträgliche, das perfiderweise zum Leben dazu gehört? ... Indem man den Schmerz darüber leugnet? ... Oder die eigene Hilflosigkeit ignoriert?" (Deutschlandfunk Kultur, 23.08.2019).

Das Buch ist unterhaltsam und prima zwischendurch zu lesen.


Das erste Buch Raumpatrouille von Matthias Brandt haben wir übrigens auch in der Jakobibücherei.

Laurie Lee

Cider mit Rosie 

Aus der Sicht eines Kindes erzählt der Autor von seinem Dorf im ländlichen England am Ende des Ersten Weltkriegs.

Er wächst dort mit seiner Mutter und sechs weiteren Geschwistern auf: umgeben von unberührter Natur, wird die kindliche Fantasie beflügelt, die Helligkeit des Tages verführt zum Herumstromern, die Dunkelheit der Nacht zum ängstlichen im Haus bleiben. 
Die Mutter liebt ihre Kinder über alles und hält die Familie zusammen. 
Inmitten der Dorfgemeinschaft führt die Familie trotz ständigem Geldmangels ein Leben voller Freude und Trubel.
Feste und Dorfausflüge bereichern die Erlebniswelt der Kinder, es wird immer ausgelassen gefeiert.

Mit seiner wundervoll detailreichen Sprache fasziniert der Autor seine Leser und führt sie zu einer lebendigen Reise in die Vergangenheit, in schönste Kindheitserinnerungen. 

Monika Helfer

Die Bagage

Monika Helfer erzählt die berührende Geschichte ihrer eigenen Familie und Herkunft. 

"Bagage" ist der französische Ausdruck für Gepäck. In diesem autobiographischem Roman wird ein Geheimnis über Generationen zur Bagage - etwas, das man mit sich herumträgt, und das eine ziemlich schwere Last sein kann. 
Der Begriff "Bagage" wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings auch verwendet für lästige kinderreiche Großfamilien oder für Gruppen von zwielichten Gestalten, die sich nicht an die üblichen Regeln halten.

Geschildert wird ein Frauenleben zur Zeit des Ersten Weltkrieges: 
Die schöne Maria muss ihre Kinderschar in einem Bergdorf allein aufziehen, sie weiß kaum, wie sie die hungrigen Bäuche füllen soll. 
Auf ihren Feldern wächst wenig, denn der karge Boden gibt nichts her. Doch Marias Familie ist auf Selbstversorgung angewiesen solange ihr Mann im Krieg ist, und auch sein Zusatzverdienst durch gelegentliche "Geschäftchen" weg fällt. 
Dazu kommt, dass Maria sich verschiedener Zudringlichkeiten erwehren muss. 
In dieser schweren Zeit wird sie schwanger mit ihrem fünften Kind: Grete, Monika Helfers Mutter. 
Ohne Schutz eines männlichen Familienoberhauptes gerät die Familie durch überlebensnotwendige Tricksereien und Mundraub immer mehr in Verruf. 
Sie muss in ihrer Not die Kriegsjahre überleben und mit dem Schimpfwort "die Bagage" leben.

Die Spannung in diesem Roman wird sehr gut durch die nicht chronologische Erzählweise aufgebaut, durch Bruchstücke, viele Auslassungen und zeitliche Sprünge  hält sie bis zum Schluss. 
Das muss man nicht mögen, dennoch ist es sehr gut gelungen.

Die Frage, wie historische und private Traumata über Generationen hinweg fortwirken, beschäftigt noch lange nach der Lektüre. 

Und man darf gespannt sein auf die Fortsetzung: mit dem Buch „Vati“ schreibt die Autorin die Geschichte fort.

Rose Lagercrantz & Rebecca Lagercrantz

Zwei von jedem

Dieses kleine Buch ist entstanden aus der Familiengeschichte der Lagercrantz, und gestaltet mit Illustrationen der Tochter Rebecca. 
Es ist hervorragend geeignet zum Vorlesen (laut Verlag auch schon für Kinder zum Selbstlesen geeignet ab 9 Jahren).

"Zwei von jedem" behandelt kindgerecht den Holocaust: 
Siebenbürgen in den 1940ziger Jahren. Eli und Luli, beide 9 Jahre alt, sind zuerst unzertrennliche Schulfreunde und bleiben einander auch danach in schweren Zeiten verbunden. Luli folgt ihrem Vater schließlich nach Amerika, Eli durchlebt Schreckliches während der Nazi-Herrschaft und im Zweiten Weltkrieg: Er überlebt. 

Dabei wartet er sehnsüchtig auf einen Brief von seiner Luli. 
Auch als er in Schweden ein neues Leben anfangen kann, ist er in Gedanken bei ihr. Dann erreicht ihn endlich der lang ersehnte Brief aus New York.

"Die schwierige Aufgabe, ein so dunkles Geschichtskapitel zu einem Kinderbuch zu verarbeiten, ist laut Rezensenten gut gelungen, die Thematik sei sorgsam, charmant und deutlich erzählt, weiß aber auch, wo die Informationsgrenzen für Kinder liegt...." [FAZ, 23.08.2021]

Mit den vielen sorgfältig gemalten Aquarellen ist dies ein Buch, welches nicht nur Kindern ruhige Lesemomente schenkt,  es ist auch eine schöne Geschichte zum Thema Liebe.

Joël Dicker

Das Geheimnis von Zimmer 622

Der bekannte Schweizer Schriftsteller Joël Dicker versteht nicht, warum es im vornehmen Hotel Palace de Verbier, in dem er seine Ferien verbringt, das Zimmer 622 nicht gibt. 
Die Antwort ist einfach: in diesem Zimmer fand vor mehreren Jahren ein Mord statt, der nie aufgeklärt wurde. Natürlich möchte Joël Dicker diesen Cold Case mit seiner liebenswürdigen, aber energischen Partnerin Scarlett Leonas lösen. 

Die Geschichte dreht sich um alle menschlichen Abgründe: um Macht, Profit, Eifersucht, Intrigen, Verrat, Lügen, und natürlich um die Liebe. 
Das alles spielt sich in den vornehmsten Kreisen der Reichen und Schönen ab. 
Ein großes, bekanntes Bankhaus spielt eine ebenso wichtige Rolle wie ein Puppenspieler, der im Hintergrund die Strippen zieht.

Eine spannende Geschichte, richtig gut erzählt.

Juli Zeh

Über Menschen 

In Juli Zehs neuem Roman erfährt der Leser viel über Einsamkeit und Ängste, aber auch über Menschlichkeit und dem Überwinden von Vorurteilen.

Dora packt ihren Rucksack, um in Bracken, dem kleinen brandenburgischen Dorf, den Stress Berlins hinter sich zu lassen, um zur Ruhe zu kommen und zu sich selbst zu finden. 
Doch ihr neu erworbenes Haus, leer und renovierungsbedürftig, und das verwilderte Grundstück schaffen es nicht, ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und dörflicher Idylle zu befriedigen. 
Und dann ist da noch ihr Nachbar hinter der hohen Gartenmauer, der sich ihr als „Dorfnazi“ vorgestellt hat und das „Nazisein“ auch auslebt. 

Doch dann geschieht etwas, mit dem Dora nicht gerechnet hat: Sie bekommt Hilfe von ihrem Nachbarn und anderen Dorfbewohnern, ohne darum gebeten zu haben, einfach nur so. 
Sie muss ihre Vorurteile sehr ernsthaft überdenken, die Dinge aus einer neuen Perspektive betrachten. 
Das sind Erfahrungen und Herausforderungen, denen sie sich stellt, und die für sie ein großer Gewinn sind.

Iris Wolf

Die Unschärfe der Welt

In sieben in sich geschlossenen, aber miteinander verbundenen Kapiteln erzählt die Autorin die Geschichte einer Familie aus dem rumänischen Banat und Siebenbürgen.
Aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen Zeitebenen werden vier Generationen in ihrem historischen Hintergrund dem Leser vertraut gemacht.

Politisches Geschehen der Gegenwart und historische Begebenheiten werden mit persönlichen Erfahrungen und Empfindung verwoben.
"So entsteht vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks und der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein großer Roman über Freundschaft und das, was wir bereit sind, für das Glück eines anderen aufzugeben." (Verlagstext)

Sehr poetisch und einfühlsam erzählt ... mit Blick in eine hoffnungsvolle Welt.

Thomas Hettche

Herzfaden  
- Roman der Augsburger Puppenkiste -

Mit seinem Buch „Herzfaden – Roman der Augsburger Puppenkiste“ schaffte es Thomas Hettche in die Short-List des Deutschen Buchpreises 2020. 

Der Roman beginnt mit einem zwölfjährigen Mädchen, dass nach der Aufführung in einem Puppentheater durch eine verborgene Tür auf einen mit Mondlicht durchfluteten Dachboden gelangt, wo Marionetten wie Prinzessin LiSi, Kater Mikesch, ein sprechender Storch u.v.a., auf sie warten. 
Sie selbst ist inzwischen auf Marionettengröße geschrumpft. 
Außerdem trifft sie auf Hannelore Oehmichen, Hatü genannt, die die Marionetten geschnitzt hat und ihr die Geschichte der Augsburger Puppenkiste erzählt. 
Hatü ist die Tochter des Erfinders des legendären Puppentheaters Walter Oehmichen und war seine wichtigste Marionettenbauerin. Nach seinem Tod führte sie das Puppentheater weiter. Sie lebte bis 2003.

Der Roman ist in zwei Zeitsträngen und in unterschiedlichen Farben, rot und blau, geschrieben. 
Die historische Geschichte beginnt kurz nach Kriegsbeginn mit der Einberufung des Vaters. Die Idee zu einem Marionettentheater kommt dem Schauspieler an der Front. 
Er stellt fest, dass sich mit den hölzernen Puppen Geschichten anders erzählen lassen. 
Sie sehen, lächeln und sprechen. 
Auf das Publikum wirken sie wie Menschen, und die Zuschauer werden fast automatisch zu Kindern. 

Hier wird der „Herzfaden“ erklärt: 
"Der wichtigste Faden einer Marionette. Nicht sie wird von ihm geführt, sondern mit ihm führt sie uns. Der Herzfaden einer Marionette macht uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht."

Fast ist es ein Märchen und es werden Kindheitserinnerungen wach, wäre da nicht noch die Zeit, die beschrieben wird: 
Erst der Krieg, dann ein schwerer Anfang nach der Kapitulation, schließlich die Fernsehproduktionen ab 1953.

Ein starkes Buch, sehr empfehlenswert.

David Grossmann

Was Nina wusste

Der in Jerusalem geborene Schriftsteller David Grossmann gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart.  
Er ist ein großartiger Erzähler, dessen Figuren beeindruckend lebendig werden, und der durch seine Erzählweise tiefe Einsichten in historische und politische Situationen ermöglicht. 
In seinem Roman „Was Nina wusste“ geht es um Frauen aus drei Generationen: 
Vera, 90 Jahre alt, ehemals jüdische Partisanin, die zusammen mit ihrem geliebten serbischen Ehemann an der Seite Titos gegen die Nazis gekämpft hat, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili (39), aus deren Sicht die Geschichte der Familie erzählt wird. 

Die Familie lebt in Israel, wohin Vera nach einer mehrjährigen Haftstrafe in Kroatien mit ihrer Tochter Nina ausgewandert ist. Ninas Vater Milos wurde getötet, bevor Vera zu Lagerhaft verurteilt worden war. Ihre erst 7jährige Tochter musste sie deshalb sich selbst überlassen. 

Es geht in dem Roman vor allem auch um die Tragödie Ninas, die das Trauma ihrer verzweifelten Kindheit nie überwunden hat. Zu Beginn des Romans schildert Enkeltochter Gili, wie die noch sehr vitale Vera im Kibbuz ihren 90.Geburtstag feiert und ihrer Familie beim Zusammensein immer wieder bruchstückhaft von ihrer Vergangenheit erzählt.
Es entsteht bei Nina die Idee, dass Vera ihre Geschichte einmal ganz erzählt und dabei von Gili und ihrem Vater Rafael gefilmt wird. 
Dazu wollen sie gemeinsam nach Kroatien reisen und die Insel Goli Otok besuchen, auf der sich das berüchtigte Lager befand, in dem Vera 3 Jahre verbracht hatte. 
Der Aufenthalt der zerrissenen Familie in Kroatien enthält albtraumartige Szenen, Rückblicke auf die Lagerzeit Veras und spannende, ergreifende Einsichten in die Psyche der drei Frauen. 

Inspiriert zu dem Roman wurde Grossmann von der jüdischen kroatischen Kommunistin Eva Panic-Nahir, deren Lebensgeschichte dem Roman zugrunde liegt.

Graham Swift

Ein Festtag

Dieser kleine Roman ist das Vorgängerbuch von Graham Swifts „Da sind wir“. Auch dieses Buch haben wir in der Jakobibücherei. 
Wir empfehlen, die beiden Bücher in umgekehrter Reihenfolge zu lesen, also das Aktuelle zuerst. Warum?

Graham Swift hat eine besondere Art zu schreiben und die Ereignisse darzustellen. Es erscheint alles ziemlich verwoben und aus dem Moment heraus beschrieben. Das gelingt Graham Swift besser in seinem aktuell letzten Roman, und man kann sich damit besser auf seine Art zu schreiben einlassen.

Worum geht es in „Ein Festtag“?
Jane, das junge Dienstmädchen von Beechwood, und Paul, der Spross aus begütertem Haus, haben ein Verhältnis. Heimliche Botschaften, verschwiegene Treffen. 
Doch am heutigen Festtag – Familie und Dienerschaft sind auf einem Muttertagsausflug – darf sie einfach durch die vordere Eingangstür und ins Bett ihres Geliebten, nicht ahnend, dass das Leben bald eine dramatische Wendung bereithält.

Entfaltet wird die Geschichte um die alte Schriftstellerin Jane Fairchild, die sich in diesem Roman an jenen Tag im Sommer 1924 erinnert, an dem ihr Geliebter auf dem Weg zu seiner Hochzeit mit einer anderen Frau tödlich verunglückte.
Feinfühlig wird in Rückblenden beschrieben, welche Gefühlswelten sich öffnen und wie Jane zur Schriftstellerin wurde. 
Wie Bücher Menschen befähigen, sich selbst zu entkommen. 
Und wie Schriftsteller eine Sprache finden.

Graham Swift jedenfalls hat die richtige Sprache gefunden.

Helene Bukowski

Milchzähne

Der erste Roman der jungen Schriftstellerin Helene Bukowski „Milchzähne“ ist von Kritikern hoch gelobt worden.  

In einer postapokalyptischen Zukunftswelt nach dem ökologischen Super-GAU: 
Es ist eine beklemmende Geschichte von Klimawandel und Überlebenskampf von Mutter Edithund Tochter Skalde,  abgeschottet in einer engen absterbenden Welt. Menschen werden zu Selbstversorgern.
Skalde und ihre Mutter leben fernab jeder Zivilisation in einer Hitze-versengten Landschaft. Hinterm Haus baut Skalde Gemüse an, füttert Kaninchen. 
Skalde kennt keine Zeit - nur Licht und Dunkelheit. 
Die Außenwelt scheint anfangs wie eine Bedrohung vor der Haustür zu lauern. Schon nach wenigen Seiten wird aber deutlich, dass die eigentlichen Probleme im Inneren liegen. 
Als Skalde den ersten Milchzahn verliert, kippt die Stimmung. Die unterschwellige Angst wendet sich in Hass gegen die restriktive Mutter.

Manchmal erinnert der kurze Roman an Haushofers Roman „Die Wand“.  
Es ist spannend zu lesen, wie sich das Mädchen Skalde, indem es schreiben und lesen lernt, gegen die gewalttätige Erwachsenenwelt wehrt. 
Spannend zu lesen, aber in diesen Zeiten auch bedrückend.

Helene Bukowski hat einen atemberaubenden Debütroman von so zeitloser Gültigkeit wie brisanter Aktualität geschrieben, einen Bericht aus einer verrohten Welt, die irgendwo auf uns zu warten droht.

Kent Haruf

Kostbare Tage

Wie schon in seinen vorherigen Romanen führt der Autor uns wieder in die fiktive Kleinstadt Holt in Colorado. 
Hier lebt Dad Lewis. Gerade hat er eine verheerende Diagnose erhalten, er hat Krebs. Es wird für ihn der letzte Sommer seines Lebens sein. 
Seine Frau hat ihn bis hierher in allen Lebenslagen begleitet, nun auch in der Zeit des Sterbens. 
Unterstützung  erhält sie in dieser schwierigen Situation von Tochter Lorraine, die in ihr  Elternhaus zurückgekehrt ist. 

Von dieser problematischen Zeit erzählt der Autor. Während Dad sich immer mehr aus den Ereignissen der Kleinstadt zurückzieht, geht das Leben für die Nachbarn weiter:
Die kleine Alice zieht im Nachbarhaus bei ihrer Großmutter Berta ein, eine Hoffnung und ein positives Gefühl für die Zukunft. Mutter und Tochter Johnson kämpfen gegen ihre Einsamkeit. 
Der neue Reverend Lyle versucht, sich in der Gemeinde einzuleben. Nicht nur das bringt Schwierigkeiten, auch seine Familie bereitet ihm Probleme. 
All diese Personen stehen Mary und Lorraine trotz eigener Sorgen liebevoll zur Seite. 
Dad ist ein geduldiger Sterbender. Er lässt sein Leben Revue passieren und setzt sich mit den Situationen auseinander, in denen er sich seiner Meinung nach schuldig gemacht hat. 
In seiner Vorstellung erscheint sein homosexueller Sohn, den er mit seinem Starrsinn aus dem Haus getrieben hat, erscheinen seine Eltern und seine Angestellten. Allen ist er etwas schuldig geblieben.
Eine Geschichte vom Abschiednehmen, von Familie, Schuld und Tod. 
Ein tröstlicher Roman.  

Martin Michaud

Aus dem Schatten des Vergessens

Am Tag vor Weihnachten wird die Psychologin Judith Harper bestialisch ermordet. 
Zur gleichen Zeit verschwindet Nathan Lawson, ein angesehener Anwalt, nachdem er in Panik Dokumente auf einem Friedhof vergraben hat. 
Später wird auch er tot aufgefunden. 
Ein Obdachloser stürzt sich von einem Hochhaus, in seiner Manteltasche findet die Polizei die Brieftaschen von Harper und Lawson. 
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Geschehnissen, kannten sich die Toten? 
Diese Fragen beschäftigen Sergeant-Détective Victor Lessard und seine Partnerin Jacinthe Taillon und stellen sie vor große Herausforderungen bei ihren Ermittlungen. 
Anscheinend stehen alle Ereignisse im Zusammenhang mit dem Mord an dem US-amerikanische Präsident John F. Kennedy durch Lee Harvey Oswald 1963. 
Lessard und Taillon stoßen mit ihrem Fall auf die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele, eine Herausforderung, die sie an ihre Grenzen bringt. 

»Ein hochintelligenter, temporeicher Thriller voll scharfsinnigem Humor, der seinen Lesern überdies politische Einblicke bietet.« (Journal de Québec)

Mario Vargas Llosa

Harte Jahre. Roman

Die US-amerikanische United Fruit Company erwirtschaftete am Beginn der 50er Jahre des 20sten Jahrhunderts in Guatemala große Gewinne mit dem Bananenanbau.
Sie zahlte keine Steuern und nutzte die verarmte indigene Bevölkerung rücksichtslos aus. 
Als mit dem demokratisch gewähltem Präsidenten Jacobo Árbenz diese Vorteile zu schwinden drohten, wurden Umsturzpläne von der Fruit Company vorangetrieben und 1954 mit Hilfe der CIA und des besonders umtriebigen US-Botschafters John Emil Peurifoy umgesetzt: Man verbreitete das Gerücht, in Guatemala solle der sowjetische Kommunismus einziehen. Dass mit solchen Verleumdungen Politik gemacht wird, weiß man - weniger bekannt ist, dass der Begriff "Bananenrepublik" hier geprägt wurde.
Es folgten unzählige Attentate, ein jahrelanger Bürgerkrieg, und es entstand in Guatemala eine Militärdiktatur. 
Der Autor Vargas Llosa liefert aber nicht nur historische Fakten,  sondern widmet sich auch dem Schicksal der Hauptakteure dieses Machtkampfes.
Nachdem der Leser alles Wichtige zu der damaligen Politik und den Intrigen um Macht und Geld in Erfahrung bringen konnte, wird die Handlung spannungsgeladen.
Wenn es um historische Wahrheiten geht,  erzählt Vargas Llosa in einem sachlichen Ton, dagegen lebendig und spannungsreich, wenn es sich um fiktives Geschehen handelt.  

Benedict Wells

Hard Land

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Benedict Wells gelingt das große Kunststück gleich mit dem ersten Satz: der Leser ist mitten im Buch.

Missouri 1985: Um von den Problemen zu Hause zu fliehen, nimmt der fünfzehnjährige Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. 
Und einen magischen Sommer lang ist alles auf den Kopf gestellt: Er findet Freunde, verliebt sich, und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt. 
Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden.

Ein Coming-of-Age-Roman mit vielen Bezügen auf erfolgreiche Filme und die Musik von Bruce Springsteen. 
Das Buch erzählt die Geschichte vom Erwachsenwerden: „Kind sein ist wie einen Ball hochwerfen, Erwachsenwerden ist, wenn er wieder herunterfällt.“ 
Der Leser kann sich an die eigene Zeit des Erwachsenwerdens erinnern oder einfach losgelöst nur miterleben, wie Sam erwachsen wird. Ein Buch, das solche Freiheit zulässt, ist toll. Bemerkenswert ist, dass das Buch im ZDF heute journal Ende Februar `21 vorgestellt worden ist.

Von der ersten bis zur letzten Seite möchte der Leser nicht aufhören zu lesen. 
Die Geschichte behält ihre Spannung ohne aufzuregen und doch kann sie auch entspannen dabei. 
Mit Sätzen wie: „Die monatelang verschneite Landschaft war wie ein leeres Papier, auf das die Natur nun wieder alle möglichen Farben malte. Man sah die ersten Blätter an den Bäumen und Blumen, die sich langsam aus der Erde emporarbeiteten. In der Ferne das gleichmäßige Brummen der Traktoren.“

Volker Weidermann

Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko

Volker Weidermann hat mit seinem Buch „Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko“ die Jahre der bekannten Schriftstellerin im Exil einfühlsam geschildert.
Die überzeugte Kommunistin Anna Seghers flieht vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach Mexiko, das sie, ihren Ehemann und zwei Kinder von 1941-1947 aufnimmt. 
In ihrem Exil in Mexiko-Stadt, Treffpunkt vieler Exilanten aller Nationen, versucht sie, sich mit neuem Mut der Schriftstellerei zu widmen. Hier erlebt sie auch, dass ihr Roman „Das siebte Kreuz“ zu einem Welterfolg wird, der sie finanziell unabhängig macht. 
Bei einem schweren Verkehrsunfall verliert sie für längere Zeit ihr Gedächtnis, was zunächst ihr literarisches Schaffen beeinträchtigt. 
In der Zeit der Rekonvaleszenz, mit Unterstützung durch Ärzte und Freunde, erholt sich Anna Seghers langsam. 
Es entstehen ihre Romane „Transit“ und „Der Ausflug der toten Mädchen". 
Betont und anschaulich werden durch Auszüge aus ihrem Tagebuch oder aus Briefen die Geschehnisse unterstrichen, ebenso die politischen Kämpfe und Intrigen der Kommunisten benannt. 
Mit dem Kriegsende 1945 will Anna Seghers - wie viele andere Exilanten auch - zurück nach Deutschland, um das Land erneuern. 1947 kehrt sie in die Heimat zurück, geht nach Ostberlin, wo sie von diesem Zeitpunkt an lebt, und 1983 als linientreue Kommunistin hoch dekoriert und anerkannt stirbt. 

Volker Kutscher

„Olympia“ -  Der achte Rath-Roman

Kutschers achter Gereon Rath Roman ist in Berlin 1936 angesiedelt.  
Der Leser erlebt in einer atmosphärisch dichten Schilderung die Hauptstadt im Olympiafieber, erlebt den trügerischen Glanz einer Stadt, die sich den olympischen Gästen makellos präsentiert.
Oberkommissar Gereon Rath, der mit Charlotte verheiratet ist, wird von seinem ehemaligen Kollegen Reinhold Gräf zu Ermittlungen wegen eines vermeintlichen Mordfalls im olympischen Dorf gezwungen. 
Für die SS steht fest, dass dahinter nur eine kommunistische Verschwörung stecken kann. Auch sein Gegenspieler Tornow, der mittlerweile SS-Obersturmbannführer bei Heydrichs Sicherheitspolizei ist, erwartet Ergebnisse. 
Rath verstrickt sich immer mehr in die Ränkespiele seiner politischen Gegner, je mehr Opfer es zu geben scheint. 
Auch Charlotte und ihr Ziehsohn Fritz bleiben von den Auswirkungen des politischen Drucks nicht verschont. 

Dem Autor ist es eindrucksvoll gelungen, dem Leser die beklemmende Atmosphäre und die ständige Bedrohung der Protagonisten durch das Nazi-Regime vor Augen zu führen.
»Beklemmend, düster und gleichzeitig ein Pageturner« rbb infoRadio „Kultur“

Klaas Huizing

Das Testament der Kühe

Klaas Huizing ist Schriftsteller und Professor für evangelische Theologie. 
Er wuchs in einem streng calvinistisch geprägten Milieu in der Grafschaft Bentheim an der deutsch-niederländischen Grenze auf. 
In seinem Roman "Das Testament der Kühe" schildert er liebevoll seine Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren und sein späteres Leben außerhalb dieses Milieus. 
Von Mutter und Großmutter wird er in strenger, aber herzlicher, calvinistischer Form erzogen und auf ein Leben als Pastor oder Professor vorbereitet.
Als Sohn eines Baustoffhändlers gilt er als prädestiniert für diese Berufe. 

Verschiedene bedauerliche Lebenserfahrungen und die Begegnung mit der Zunge einer Kuh treiben ihn schließlich nach Neuseeland. 
Seitdem erkundet er dort als Höhlenforscher die in seinen Augen grandiose Evolution.

"Ich musste mich von dieser Kindheit befreien", sagt er zu seiner Entwicklung. "Heute erkläre ich meinen Studentinnen und Studenten: Religion muss entlasten! Wenn Religion nicht entlastet, wenn es eher beklemmend wirkt, dann soll man es lassen".

Tanya Tagaq

Eisfuchs

"Eisfuchs" ist der erste Roman der Musikerin Tanya Tagaq; geschildert wird das Leben der Inuit im hohen Norden Kanadas. 

Die zwölfjährige Ich-Erzählerin beschreibt eine von Gewalt und Mythen geprägte Jugend, erzählt aber auch von einer erhaben schönen Natur mit Polarfüchsen, mächtigen Eisbären, dem Eismeer und den gewaltigen Polarlichtern.

Im Frühling, nach dem Ende des bitterkalten Winters, können die Inuitkinder endlich draußen die Gegend unsicher machen, "Im Jungsein schwelgen, wünschen, es würde nie enden." 
Das ist eine Möglichkeit, dem von Alkohol und andere Drogen bestimmten Leben der Erwachsenen zu entkommen. 
Die erwachsenen Inuit können den Kindern und Jugendlichen keinen Halt bieten, Gewalt und sexueller Missbrauch sind nichts Außergewöhnliches. 

Der Einfluss der Mythen und der übermächtigen Natur lassen die Grenzen zwischen Realität und Mythos, zwischen Mensch und Natur für das Mädchen verschwimmen.
Sie begibt sich auf eine verstörende Selbstfindung, auf eine Flucht aus der Wirklichkeit.

Gewidmet ist das Buch den "verschwundenen und ermordeten indigenen Frauen und Mädchen Kanadas", sowie den "Überlebenden der Residential Schools". 

Im Residential-School-System, das in Kanada bis in die 1980er Jahre Bestand hatte, wurden die Kinder indigener Gruppen gewaltsam von ihren Eltern getrennt und in Internaten untergebracht, in denen ihre Sprachen und religiösen Praktiken verboten waren. 
Viele Schüler starben aufgrund mangelnder Hygiene an Krankheiten oder Mangelernährung, ebenso viele wurden sexuell missbraucht.

Victoria Mas

Die Tanzenden

Im Roman wird über die Zustände an der Salpêtrière, der Frauen-Psychiatrie in Paris im 19ten Jahrhundert berichtet. 

Der weltberühmte Neurologe Jean-Martin Charcot behandelte hier ausschließlich weibliche Patienten, und die interessantesten Fälle präsentierte er in seinen Vorlesungen regelmäßig einem ausschließlich männlichen Publikum. 

Im Volksmund sprach man von den Patientinnen nur von den Geisteskranken.
Tatsächlich fand in der Karnevalszeit in Paris ein "Bal des folles", Ball der Verrückten, statt. 

Es war nicht unüblich, Töchter, die nicht angepasst an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten waren, an die Salpêtrière abzuschieben und sie einfach zu vergessen. 
So erging es auch Eugénie, eine nachdenkliche, junge Frau, die sich den bürgerlichen Konventionen nicht beugen wollte, und die deshalb von ihrem Vater in das berühmte Krankenhaus eingewiesen wurde. Dass sie dort wie alle anderen ihre Rechte verlor, misshandelt und vorgeführt wurde, spielte für die Familie keine Rolle.

Victoria Mas hat ihren Leserinnen und Lesern einen gut recherchierten Roman vorgelegt, und den vergessenen und verachteten Opfern der Salpêtrière ein Denkmal gesetzt.

Die Tanzenden" wurde 2019 als Debüt des Jahres ausgezeichnet und war ein großer LeserInnen Erfolg. 

Graham Swift

Da sind wir

Dieser Roman entführt den Leser nach England während des Zweiten Weltkriegs, und in das Seebad Brighton der fünfziger Jahre. 
Angesiedelt ist der Roman im Milieu der Magie, der Zaubertricks und der Illusionen. 

Ronnie, der Zauberkünstler, und Evie, seine schöne Assistentin, bezaubern jeden Abend aufs Neue das Publikum, das sich zu ihrer Show einfindet. 
Nicht fehlen darf Jack, der Conferencier, der durch die Revue führt. 
Ronnie und Evie sind auch privat ein Paar, Jack und Ronnie alte Freunde aus ihrer Militärzeit. 
Als aber Ronnie für ein paar Tage verreisen muss, weil seine Mutter gestorben ist, beginnen Evie und Jack eine Liebesbeziehung.
Das bedeutet nicht nur das Ende der Männerfreundschaft, sondern Ronnie verschwindet auch von der Bühne, ohne jemals wieder aufzutauchen. 
Die Ehe, die aus dieser Situation zwischen Jack und Evie entsteht, hält dagegen ein Leben lang.

Torsten Unger vom MDR kommentierte den Roman: "Es ist ein feingesponnenes Buch, welches das Leben aus der Stimmung von besonderen Momenten betrachtet."

Nickolas Butler

Ein wenig Glaube

Lyle und Peg Hovde leben im ländlichen Wisconsin. 
Sie sind glücklich, dass ihre Tochter Shiloh mit ihrem 5jährigen Sohn Isaac wieder zu ihnen zurückgekehrt ist. 

Doch schon bald wird dieses Glück auf eine harte Probe gestellt, denn ihre Tochter tritt einer neuen Glaubensgemeinschaft bei. Dem kleinen Isaac werden nun plötzlich heilende Kräfte nachgesagt. 
Shilohs Fanatismus geht soweit, dass sie nicht nur dem Großvater den Umgang mit seinem geliebten Enkelsohn verbietet, sondern auch das Leben ihres Sohnes in große Gefahr bringt. 

Nach einer Anmerkung des Autors basiert der Roman auf einer realen Begebenheit: Ein 11jähriges Mädchen starb, weil eine Glaubensgemeinschaft ihr die medizinische Behandlung versagt hatte.

Ein feinfühliger Roman mit einer nachdenklich machenden Geschichte um familiären Zusammenhalt, Glauben und Abhängigkeit.

Benjamin Myers

Offene See

England kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. 
Aus der Perspektive des in die Jahre gekommenen Robert Appleyard, der auf seine Jugend zurückschaut, erfährt der Leser von Roberts Aufbruch hinaus in die Welt. 

Der 16jährige Robert träumt davon, der Enge der Bergarbeiterstadt in Nordengland zu entfliehen und die Weite des Meeres im Süden kennenzulernen. 
Nur mit einem Rucksack ausgestattet, macht er sich auf den Weg und nimmt unterwegs alle möglichen Arbeiten an. 
Fast am Ziel, trifft er eines Tages zufällig auf ein kleines Cottage. Die Besitzerin Dulcie Piper nimmt ihn gastfreundlich auf. 
Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen dem Jungen und der unkonventionellen älteren Frau, die das weitere Leben Roberts prägen wird.

Viele wunderbare Naturschilderungen in einer  poetischen Sprache machen das Buch besonders lesenswert.

Shari Shattuck

Tage wie Salz und Zucker 
(Hörbuch 5 CDs 6h 22)

Zwei Frauen, die nicht unterschiedlicher sein können, treffen aufeinander. 

Ellen versucht unsichtbar zu sein, und versteckt sich hinter zu vielen Kilos. Nachts arbeitet sie als Putzfrau in einem Kaufhaus. Sie kann gut beobachten und notiert alles über ihre Mitmenschen. 
Dabei trifft sie auf Temerity, die vor Lebensfreude sprüht und keinerlei Berührungsängste hat. Als einzige kann sie Ellen „sehen“. 
Ellen rettet Temerity vor Handtaschendieben, und nun ist für Ellen nichts mehr, wie es vorher war: Beide Frauen fangen an, sich einzumischen, wo jemand sich nicht wehren kann, oder wo Unrecht geschieht.

Gesprochen ist das Hörbuch gefühlvoll und bewegend von der Schauspielerin Muriel Baumeister. 
Mit dem Klang ihrer Stimme wird die Geschichte einmal mehr mit Humor und den intelligenten Dialogen gefüllt. Dabei wird die Geschichte nicht kitschig.

Es bringt Spaß, der Stimme von Muriel Baumeister zuzuhören und der Geschichte von Ellen und Temerity zu folgen.

Alex Capus

Königskinder
(Hörbuch 4 CDs, Laufzeit 5h 13)

Roman nach einer wahren Geschichte -  vor dem Hintergrund der französischen Revolution. 
Ein armer Kuhhirte und eine reiche Bauerntochter schaffen es, alle Hindernisse zu einem gemeinsamen Leben zu überwinden. 

Gelesen wird die Geschichte von Ulrich Noethen. 
Sie beginnt im Jetzt, als Max und Tina, ein langjähriges sympathisches Ehepaar, auf einem verschneiten Alpenpass stecken bleibt, und die Nacht im Auto verbringen muss. Zum Zeitvertreib erzählt Max eine Geschichte, die genau an ihrem Standort, aber Jahrhunderte zurückliegend, begann: die Geschichte vom Hirten Jakob, der seinen Kriegsdienst beginnt und an den Hof Ludwig des XVI. gerät. 

Nebenbei erfährt man interessante Details von der Naturkatastrophe 1783 in Island, die zu Missernten in Europa führte, und von der ersten Ballonfahrt.

Alex Capus schafft es, die Geschichte zweier Paare meisterlich zu gestalten: eine Erzählung in zwei Zeitebenen und zwei verschiedenen Erzählsträngen, die lückenlos und flüssig ineinander greifen, und die sich aufgrund der unaufgeregten Stimme von Ulrich Noethen sehr gut hören lässt.

James M. Cain

Mildred Pierce

In diesem Roman begleitet der Leser die Protagonistin Mildred Pierce zur Zeit der großen Depression in den USA auf ihrem emanzipatorischen Weg von der mittellosen Hausfrau zur erfolgreichen Geschäftsfrau. 
Ihr Ehemann ist arbeitslos und ohne Ambition, eine neue Stellung zu finden. 
Mildred trennt sich von ihm, nimmt ihr Leben selbst in die Hand und arbeitet sich nach finanziellen Problemen schnell buchstäblich von der Tellerwäscherin zur Millionärin mit einem eigenen Restaurant nach oben. 
Dieser Weg ist beschwerlich und es gibt immer wieder Rückschläge, die sie aber mit Bravour meistert. Doch ihre übersteigerte Liebe zu ihrer kaltherzigen Tochter Veda bedroht alles, was sie sich mühsam erarbeitet hat.

Elke Heidenreichs Meinung zu dem Roman: »Wir staunen, wie frisch, spannend und sogar aktuell dieser Roman heute noch ist, aufregend zu lesen und sehr modern. Großartig!«    

Patrik Svensson

Das Evangelium der Aale

Der schwedische Journalist Patrik Svensson hat mit seinem Debütroman "Das Evangelium der Aale" ein Buch herausgebracht, das als eine Mischung aus Sachbuch und Roman einzuordnen ist. 
Während Svensson die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Aal zusammenträgt, erinnert er sich an die Angelausflüge mit seinem Vater, an die Nähe zu ihm. 
Die Abenteuer und die Einsamkeit in der Natur kommen ihm lebhaft ins Gedächtnis. 
Mit der Erinnerung an seine Kindheit werden ihm seine eigenen Wurzeln bewusst. 
Ein berührendes Buch in einer sehr einfühlsamen, gefühlvollen Sprache.

Die schwedische Zeitung Dagens Nyheter" jubelte: „Was für ein zartes, kluges, wunderschönes Buch!“ 

Ulla Lenze

Der Empfänger

Der Roman „Der Empfänger“ erzählt die Geschichte des jungen Auswanderers Josef Klein in New York.

Klein gerät als Amateurfunker Ende der 30er Jahren nicht nur in die Netze des deutschen Geheimdienstes, sondern auch vom amerikanischen FBI. 
In seiner Naivität bemerkt er viel zu spät, welches Spiel mit ihm gespielt wird. 

Nach Kriegsende hat er alles verloren, vor allem seine Sehnsucht nach einem ruhigen, unabhängigen Leben in Freiheit. 

Grundlagen für den Roman sind Briefe und eine Biographie des Großonkels der Autorin. 

Wer sich mit der Geschichte des deutschen Geheimdienstes während des Dritten Reich nicht gut auskennt, ist erstaunt, welche Aktivitäten er kurz vor Ausbruch des Krieges in New York entwickelte, und wie stark nationalsozialistische Organisationen versuchten, ihren Einfluss auszuüben.

Eindrucksvoll ist auch das Bild, das Ulla Lenze in ihrem Roman von Deutschland 1949 und von Südamerika in den 50er Jahren zeichnet.

Ein zeitgeschichtlicher Roman, der lohnt, gelesen zu werden.

Dirk Kurbjuweit

Haarmann

Zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle Deutschlands gehört der des Massenmörders Fritz Haarmann aus Hannover. 

Verschiedene Bücher sind zu diesem Thema bereits geschrieben und in Filmen verarbeitet worden. 
Dem Autor Dirk Kurbjuweit ist es gelungen, das Geschehen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. 
Die politischen Wirren der Weimarer Republik nimmt er dabei genau so in den Blick wie die sozialen Verhältnisse, in denen die Menschen in Haarmanns Umfeld lebten: nämlich in für uns heute unvorstellbarer Armut. 

Aus der Perspektive des ermittelnden Kriminalkommissars Lahnstein erfährt der Leser von den auftretenden Schwierigkeiten, von intrigierenden Kollegen, und von einer Öffentlichkeit, die von einer aufwiegelnden Presse in Aufruhr gerät, ehe es ihm gelingt, den Massenmörder Haarmann dingfest zu machen.   

Ein bemerkenswerter, lesenswerter historischer Krimi.  

(Friedrich „Fritz“ Heinrich Karl Haarmann war ein Serienmörder, der wegen Mordes an insgesamt 24 Jungen und jungen Männern im Alter von zehn bis 22 Jahren vom Schwurgericht Hannover am 19. Dezember 1924 zum Tode verurteilt wurde.)

Laetitia Colombani

Das Haus der Frauen

Die Autorin verbindet in ihrem Roman das Leben von zwei Frauen, die zeitlich durch ein Jahrhundert getrennt sind.

Auf der Gegenwartsebene lernen wir die Pariser Anwältin Solène kennen: Nach einem tragischen beruflichen Debakel fällt sie in eine tiefe Depression, sieht für sich keine Perspektive für ihre Zukunft als Anwältin. 
Um wieder Sinn in ihr Leben zu bringen, erklärt sie sich bereit, im Haus der Frauen tätig zu sein. Das bedeutet für sie, nicht nur den Frauen zu helfen, sondern ihrem eigenen Leben eine neue Bedeutung zu geben. 

Parallel dazu wird die Geschichte des Hauses der Frauen erzählt: Aufgebaut von Blanche Peyron, einer Frau, die sich völlig dem Helfen der Schwachen in der Gesellschaft, ganz besonders der Frauen, verschrieben hat. 
Im Paris des Jahres 1925 beginnt sie unermüdlich, Spenden zu sammeln, um das Haus zu kaufen, und als Herberge für obdachlose Frauen zu renovieren. 

Auf die Missstände der Frauen heute und früher macht dieses Buch auf gelungene Weise aufmerksam.

Janet Lewis

Der Mann, der seinem Gewissen folgte

Im Jahre 1625 erschüttert ein Verbrechen ganz Jütland. 
Pastor Sören Qvist soll seinen Knecht Niels Bruus in einem seiner Anfälle von Jähzorn erschlagen und nachts im Garten verscharrt haben. 
Keiner traut ihm eine solche Tat zu, obwohl sein grenzenloser Jähzorn bekannt ist. Doch ebenso bekannt sind seine Güte, sein Mitgefühl und seine Gerechtigkeit. 

Alle Indizien sprechen gegen Pastor Qvist. Dieser stellt seine moralische Integrität - nach gewissenhaftem Ringen mit sich selbst - über sein Leben, und nimmt gegen alle Vernunft die schwere Schuld auf sich.
Er wird schuldig gesprochen und durch das Schwert hingerichtet. 

Auf zwei Zeitschienen erlebt der Leser, wie es 1625 zu dem Indizienprozess kommen konnte, und wie 21 Jahre später von dem angeblichen Mordopfer das Geschehen aufgeklärt wird. 

Den Leser erwartet eine Gratwanderung zwischen Krimi und Gewissenserforschung.

Niklas Natt och Dag

1793

Ein historischer Kriminalroman, angesiedelt in Stockholm, Schweden, in der Zeit nach der französischen Revolution im Jahr 1793: 
Kinder entdecken in der Stadtkloake eine grausamst verstümmelte Leiche.

Der Jurist Cecil Winge und der Kriegsveteran Mikel Cardell machen sich an die Aufklärung des Verbrechens - unter Zeitdruck, denn Winge ist selbst schon ein wandelnder Leichnam - mit Tuberkulose im Endstadium. Sein Helfer Mikel Cardell, mit einem Holzarm aus dem Krieg gekommen, ist der Mann fürs Grobe, der sein Schicksal nur mit übermäßigem Alkoholkonsum erträgt. 

Im Zuge der Ermittlungen streift der Leser mit den beiden Ermittlern durchs historische Stockholm, und kann dabei wegen der überaus anschaulichen Schilderung den Gestank, den Dreck, die Hoffnungslosigkeit und Willkür dieser Zeit nahezu selbst erleben.

Es gibt drastische, teils verstörende Szenen, politische Intrigen, himmelhoch-schreiende Ungerechtigkeit, Spannung, und überraschende Wendungen.
Am Ende: fast Mitgefühl mit einem Täter, Erleichterung (?!) über die Bestrafung eines Anderen, und ein schwacher Hoffnungsschimmer.

Isabel Bogdan

Laufen


Das Buch „Der Pfau“ von Isabel Bogdan haben viele Leser mit Schmunzeln gelesen. 
Nun hat sie mit „Laufen“ ihren zweiten, völlig anders gestalteten Roman vorgelegt.


Von der Erzählerin, die namenlos bleibt, erfahren wir in einem Selbstgespräch, warum sie läuft, sich quält und was ihre Trauer und Einsamkeit hervorgerufen hat. 
Der Suizid ihres Lebenspartners hat sie völlig aus der Bahn geworfen. 
Sie ist wie gelähmt, kämpft gegen Schuldgefühle, weil sie diesen Suizid nicht verhindert hat. 
Zum Glück gibt es ihre Freundin Rike und ihre Therapeutin Frau Mohl, die ihr mit ihren handfesten Ratschlägen zu helfen wissen. 
Nach einem Jahr Laufen gewinnt sie langsam Abstand zu dem, was sich in den langen Jahren ihrer Beziehung entwickelt hatte, sie kann ihre Gedanken wieder auf das Geschehen um sie herum richten, und hat ihre innere Ruhe zurück gewonnen.


"Laufen" ist ein Trauerbuch. 
Ein Trostbuch - einfühlsam und stark. 

Ein Jahr begleiten wir die Frau bei ihrem Lauf zurück ins Leben. 
"Am Anfang ist sie sehr bei sich und unfit - gleichzeitig wiederum bei ihrer Beziehung und ihrem Mann, der tot ist", sagt Isabel Bogdan, "sie bekommt nach und nach wieder einen Blick für die Welt um sie herum."